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Elektrolyse von grünem Wasserstoff – von Anfang bis Ende kalkuliert

Clausthaler Forscherinnen ermitteln in efzn-Projekt die Lebenszykluskosten von verschiedenen Wasserstoffelektrolyseuren

Grüner Wasserstoff gilt als ein wichtiger Baustein, um unser Energiesystem klimaneutral zu gestalten. Damit er in großen Mengen hergestellt werden kann, müssen über die kommenden Jahre viele neue Elektrolyseure errichtet werden – großtechnische Anlagen, die mit Strom aus regenerativen Quellen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Für den Aufbau von Elektrolyseuren gibt es verschiedene technologische Ansätze – doch welche davon sind besonders kosteneffizient und ressourcenschonend? Ein vom efzn gefördertes Forschungsprojekt an der TU Clausthal hat dies untersucht – und zwar mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus der Anlagen.

Grüner Wasserstoff soll als klimaneutral erzeugter chemischer Grundstoff und Energieträger in Zukunft eine große wirtschaftliche Rolle spielen – etwa in der Industrie, im Verkehr und bei der Stromversorgung. Seine Herstellung ist jedoch noch verhältnismäßig teuer, insbesondere im Vergleich zur flächendeckend etablierten und daher derzeit günstigeren Gewinnung von Wasserstoff aus fossilen Quellen. Für Yajing Chen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Aufbereitung, Recycling und Kreislaufwirtschaftssysteme der TU Clausthal, ist daher die Kostensenkung bei der Herstellung von grünem Wasserstoff ein wesentliches Forschungsziel: „Eine Technologie, egal wie gut sie auch sein mag, wird nicht auf dem Markt akzeptiert, wenn ihre Kosten extrem hoch sind. Der erste Schritt zur Kostenreduzierung ist daher die Kenntnis der Kosten.“

Elektrolyseverfahren im ganzheitlichen Kostenvergleich

Unter der Leitung von Christine Minke, Professorin für Kreislaufwirtschaftssysteme an der TU Clausthal, hat sie im vom efzn geförderten Projekt „Sektorübergreifende Lebenszykluskostenanalyse von Technologien zur Wasserstoffbereitstellung“ (SeLeKT-H2) die Kosten für die grüne Wasserstoffelektrolyse genau unter die (betriebswirtschaftliche) Lupe genommen. Die Analyse der beiden Forscherinnen fokussierte sich dabei auf zwei der gängigsten und technologisch besonders ausgereiften Elektrolyseverfahren – die alkalische Elektrolyse (AEL) und die Protonen-Austausch-Membran-Wasserelektrolyse (PEM). Dabei berücksichtigten sie nicht nur die Kosten der anfänglichen Investition, sondern analysierten die Kosten über den gesamten Lebenszyklus der für die Elektrolyse notwendigen Industrieanlagen hinweg.

„Mein grundsätzlicher Antrieb ist es, bei Investitionsentscheidungen ganzheitlich heranzugehen“, erläutert Christine Minke. „Das bedeutet, über die Anfangsinvestition hinaus den kompletten Lebenszyklus von Anfang bis Ende und damit einhergehend auch Recyclingmöglichkeiten, Entsorgungskosten und ähnliche Faktoren mitzudenken. Auch ökologische und soziale Aspekte sollten im Rahmen dieser umfassenden Betrachtung messbar gemacht werden, um sie in die Investitionsentscheidung einbringen zu können.“

Ein Software-Tool zur Bewältigung der Komplexität

Nimmt man diese ganzheitliche Perspektive nicht ein und betrachtet nur die reinen Anschaffungskosten, so sind alkalische Elektrolyseure deutlich günstiger als PEM-Elektrolyseure. Doch bleibt dieser Kostenvorteil über den gesamten Lebenszyklus der Produktionsanlage bestehen? Was wird ein Kilogramm Wasserstoff im Durchschnitt kosten, das in diesen technisch unterschiedlichen Anlagen produziert wurde? Und wie lassen sich über den Lebenszyklus der Anlagen hinweg letztlich Kosten sparen, um grünen Wasserstoff günstiger zu machen? Um diese Fragen zu beantworten und die dafür notwendigen komplexen Berechnungen durchführen zu können, haben die Forscherinnen ein eigenes Software-Tool entwickelt, mit dem sich eine solch umfassende, lebenszyklusbasierte Kostenanalyse, ein sogenanntes Life Cycle Costing (LCC), durchführen lässt.

Dieses Life Cycle Costing berücksichtigt dabei eine Vielzahl von Faktoren, etwa:

  • Die Investitionsausgaben: Kosten für Konstruktion der Anlage (Bauteile und Arbeit), Berücksichtigung von Inflation, Steuersätzen und möglichen Subventionen
  • Die Betriebsausgaben: Energie- und Arbeitskosten während des Betriebs (über eine angenommene Betriebsdauer von 20 Jahren)
  • Die Entsorgungskosten und den möglichen Restwert: Kosten für die Demontage und Transport der Reststoffe sowie potentieller finanzieller Gewinn durch Recycling

Ziel ist eine möglichst realitätsnahe Kostenprognose, die alle wesentlichen Einflussfaktoren einbezieht. Die besondere Herausforderung dabei: Weil die LCC-Analyse durch Betrachtung des gesamten angenommenen Lebenszyklus von 20 Jahren einen Blick in die Zukunft wirft, müssen bei der Berechnung gewisse Unsicherheiten berücksichtigt werden, da zum Beispiel zukünftige Strom- und Rohstoffpreise nicht einfach durch einen Blick in die Glaskugel vorhersagbar sind. Das Tool nutzt deshalb verschiedene mathematische Methoden aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung, um diese Unsicherheiten zu verkleinern und eine möglichst präzise Kosteneinschätzung zu ermöglichen.

Der Blick auf den Lebenszyklus als Entscheidungshilfe

Dass diese Kosteneinschätzung mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus eine gute Grundlage für wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen sein kann, zeigt eines der markantesten Ergebnisse aus den Berechnungen der Forscherinnen: Die in der Anschaffung deutlich teureren PEM-Elektrolyseure sind, wenn man die Gesamtkosten betrachtet, tatsächlich etwas kosteneffizienter als die alkalischen Elektrolyseure. Auch der Kilogrammpreis des in diesen verschiedenen Anlagentypen produzierten Wasserstoffs ist nicht signifikant unterschiedlich. Das größte Kosteneinsparpotenzial sehen die Forscherinnen indes bei den Betriebskosten der Anlagen, also insbesondere bei den Kosten für Strom- und Wasserverbrauch.

Ein ganz wesentliches und erfreuliches Ergebnis des Projekts, so betont Christine Minke, sei allerdings neben diesen Kostenberechnungen vor allem das entwickelte Software-Tool selbst: „Uns ging es nicht so sehr darum, endlich mal auszurechnen, was das Kilo grüner Wasserstoff denn nun tatsächlich kostet, sondern das Ziel war es, mit den diesem Preis zugrundeliegenden Unsicherheiten und Einflussfaktoren umzugehen. Die Frage ist ja: Wo geht die Reise hin? Welche Einflussfaktoren wirken sich tatsächlich wie stark auf den Preis aus? Um dies besser einzuschätzen und einzugrenzen, haben wir ein Tool programmiert, das die Wahrscheinlichkeitsräume für zukünftige Preise präziser definieren kann.“

Ähnlich beschreibt es auch Yajing Chen – eine präzisere Vorhersage der zu erwartenden Kosten durch das entwickelte Tool sei ein Zugewinn für alle Beteiligten: „Ein umfassendes Kostenergebnis, das mit der aktuellen Situation übereinstimmt und auch eine verlässliche Zukunftsprojektion beinhaltet, ist für alle Stakeholder von entscheidender Bedeutung. Zum Beispiel können Entscheidungsträger die wirtschaftlichen Vorteile verschiedener erneuerbaren Energietechnologien anhand der Kosten für die Wasserstoffproduktion bewerten. Investoren können ihre Investitionspläne auf der Grundlage des Verständnisses der Kosten für die Technologie erstellen. Entwickler können die Reduzierung hoher Kosten als Leitfaden für ihre Forschungsrichtung verwenden.“

Software-Einsatz auch jenseits von Elektrolyseuren geplant

Die wesentlichen Projektergebnisse werden derzeit von den Forscherinnen zur Publikation vorbereitet. Das Software-Tool selbst wird als Open-Source-Software veröffentlicht und soll auch zukünftig weiterentwickelt und angepasst werden, um es auch für andere wirtschaftliche Anwendungsbereiche einsetzbar zu machen – und die Betrachtung der Lebenszykluskosten im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft für viele verschiedene relevante Stakeholder und Produktionsbereiche zu vereinfachen.

Diese ganzheitliche Sichtweise, betont Christine Minke, sei der richtige Weg für die Zukunft, nicht nur bei der Planung und Umsetzung von Elektrolyseuren: „Im Technologiebereich kann ich sehr gut in Kreisläufen denken – das muss in der Politik ankommen, das muss von Unternehmen eingefordert werden, das müssen wir auch in der universitären Lehre von Anfang an vermitteln. Das muss einfach ausnahmslos anerkannt und umgesetzt werden. Noch so zu tun, als könnten wir es uns irgendwie leisten, andere Wege zu gehen, finde ich nicht mehr zeitgemäß.“
 

Projektbeteiligte

Projektleiterin Prof. Dr.-Ing. Christine Minke ist Professorin für Kreislaufwirtschaftssysteme am Institut für Aufbereitung, Recycling und Kreislaufwirtschaftssysteme der TU Clausthal. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Entwicklung und Analyse technischer Systeme in Bezug auf ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit. Im Fokus stehen verfahrenstechnische und elektrochemische Systeme, wie Wasserelektrolyse, Wasserstoffspeicherung und -umwandlung, Batterien, Photovoltaik und Leistungselektronik.

Yajing Chen, M.Sc., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Christine Minke an der TU Clausthal. Bereits in ihrer Masterarbeit im Fach Technische BWL an der TU Clausthal beschäftigte sie sich mit dem Life Cycle Assessment (LCA) und Life Cycle Costing (LCC) von alkalischen Wasserstoffelektrolyseanlagen. Im Team von Prof. Minke forscht sie weiterhin zu den wirtschaftlichen Aspekten von Wasserstoffelektrolyseanlagen.

Über die Förderung

Das Forschungsprojekt wurde über das Förderprogramm „Beschleunigung der Transformation des Energiesystems im Spannungsfeld von Energiekrise und Klimaschutz“ des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen (efzn) finanziert.

Das Förderprogramm hatte zum Ziel, disziplinübergreifende Fragen in drängenden Themenfeldern der niedersächsischen Energieforschung mit noch größerem Nachdruck voranzubringen, um so zur Beschleunigung der Energiewende beizutragen. Die Projekte des Programms wurden über einen Zeitraum von sechs Monaten, von Frühjahr bis Herbst 2023 gefördert.

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