Wo bitte geht’s zur H2-Zukunft?
efzn-Innovationslabor „H2-Wegweiser Niedersachsen“ liefert Richtungsimpulse für den Wasserstoffausbau in Niedersachsen und darüber hinaus.
Wasserstoff gilt als der zentrale Energieträger für ein klimaneutrales Energiesystem. Doch wie genau lässt er sich besonders effektiv und ohne Fallstricke in die Energieversorgung einbinden? Das Innovationslabor „H2-Wegweiser Niedersachsen“ hat untersucht, wie ein wasserstoffbasiertes Energiesystem der Zukunft in Niedersachsen konkret gestaltet werden kann, welche technischen Varianten vorteilhaft sind und welchen Einfluss rechtliche, ökologische und ökonomische Aspekte haben. Der Sprecher des Innovationslabors, Dr.-Ing. Andreas Lindermeir vom CUTEC-Forschungszentrum der TU Clausthal, beleuchtet im Interview diese Forschungsarbeit und die Ergebnisse des Verbundvorhabens.
Herr Dr. Lindermeir, das Innovationslabor nennt sich ja sehr bildhaft „H2-Wegweiser“. Worum genau ging es bei diesem „wegweisenden“ Vorhaben und was waren die Ziele Ihres Innovationslabors?
Dass Wasserstoff eine zentrale Rolle im zukünftigen Energiesystem einnehmen wird, ist ja eigentlich breiter Konsens – es gibt eine nationale Wasserstoffstrategie, es gibt eine Importstrategie für Wasserstoff. Das heißt: Der Rahmen ist gesetzt.
Wir haben uns daher im Innovationslabor angeschaut, wie man diese Transformation begleiten kann und welche konkreten Schritte auf dem Weg notwendig sind – und dies mit einem klaren Fokus auf Niedersachsen: Was heißt es denn ganz praktisch, ein klimaneutrales Energiesystem unter Einbindung des Energieträgers Wasserstoff in Niedersachsen aufzubauen? Welche Rolle spielen dabei die spezifischen niedersächsischen Rahmenbedingungen, etwa die vorhandenen Untergrundspeicher, die Küstenterminals, die hohe Kapazität für Wind- und Sonnenstrom? Was sind die standortspezifischen Erzeugungs- und Verbrauchspotentiale für Wasserstoff im Land? Welche regulatorischen, ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für den Markthochlauf von Wasserstoff müssen berücksichtigt werden?
Mit Blick auf all diese komplexen und miteinander verschränkten Fragestellungen wollten wir im Labor klären, welche Rolle Niedersachsen bei der Integration von Wasserstoff in das gesamtdeutsche und auch das europäische Energiesystem spielen kann. Daher auch der Begriff „H2-Wegweiser“ – unsere Intention war es, aus niedersächsischer Perspektive klare Richtungsempfehlungen und Roadmaps für diesen herausfordernden Transformationsprozess zu liefern.
Über die Innovationslabore für Wasserstofftechnologien
Die Wissenschaftsallianz Wasserstofftechnologie bündelt unter dem Dach des efzn die Kompetenzen der Wasserstoffforschung in Niedersachsen und hat sich zum Ziel gesetzt, die vielfältigen Potenziale von grünem Wasserstoff in Energie, Mobilität und Industrie zu erforschen und nutzbar zu machen.
Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur förderte zu diesem Zweck aus dem Niedersächsischen Vorab (heute: zukunft.niedersachsen) von 2021-2024 die Innovationslabore für Wasserstofftechnologien, in denen Wissenschaft und Praxisakteure gemeinsam Lösungen zu den zentralen wissenschaftlichen, technologischen und ökonomischen Herausforderungen erarbeiteten und dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Technologieentwicklung und Marktdurchdringung von Wasserstoff leisten konnten.
Das ist ja ein durchaus komplexes Vorhaben. Wie sind Sie diese Aufgabe angegangen?
Richtig, die Breite der Fragestellung und die zugrundeliegende Interdisziplinarität waren tatsächlich Alleinstellungsmerkmale unseres Vorhabens. Wir haben uns bewusst nicht nur auf einen Themenbereich fokussiert – und genau das war auch das Spannende und Innovative am Projekt. Wir haben diese Spannbreite von vornherein bei der Konzeption des Labors berücksichtigt und hatten dafür mehrere Projektebenen, die sich den Fragestellungen aus unterschiedlichen Flughöhen und Fachperspektiven gewidmet haben.
Ganz oben lag dabei die Energiesystem-Ebene, wo wir uns ein Szenario für ein klimaneutrales Energiesystem im Jahr 2045 angeschaut haben. Dieses haben wir dann niedersachsenspezifisch konkretisiert und in den anderen Ebenen aus bestimmten Perspektiven betrachtet. Dazu gehörte zum einen die sozio-ökologische Ebene, bei der etwa geschaut wurde, wie nachhaltig Wasserstofferzeugungstechnologien sind oder wie sich die Erzeugung von Wasserstoff auf den Wasserhaushalt in Niedersachsen auswirkt. Auch energiewirtschaftsrechtliche Fragestellungen und deren Auswirkungen auf potenzielle Geschäftsmodelle wurden dabei analysiert.
Zum anderen haben wir die Szenarien natürlich auch auf der technischen Ebene analysiert und technologische Lösungen diskutiert, zum Beispiel zur Wasserstoffspeicherung in Poren- und Kavernenspeichern oder zur Konversion von Wasserstoff in synthetische Energieträger. Das Labor war dabei ganz bewusst auf diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ausgelegt, sodass dies im Arbeitsalltag mit den Kolleg:innen wirklich gut funktioniert hat. Ich möchte sogar behaupten, dass wir alle viel dazugelernt haben, weil wir durch die fachübergreifende Zusammenarbeit ganz neue Perspektiven kennenlernen konnten.
Welche zentralen Erkenntnisse haben sich denn aus dieser Zusammenarbeit ergeben – oder um im Bild zu bleiben: In welche Richtung zeigt der H2-Wegweiser?
Wir konnten zum einen – wenig überraschend – bestätigen, dass Wasserstoff ein wichtiges Element im zukünftigen Energiesystem sein wird. Es ist auch noch einmal klar ersichtlich geworden, dass Niedersachsen die große Chance hat, in der neuen Wasserstoffwirtschaft eine zentrale Rolle zu spielen, sowohl national als auch auf europäischer Ebene, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung über Transport und Speicherung bis zur Weiterverarbeitung des Wasserstoffs. Dies sind schöne, aber natürlich schon aus anderen Analysen und Studien bekannte Erkenntnisse.
Die wirklich interessanten Entdeckungen haben wir an den Verknüpfungsstellen der Fachdisziplinen gemacht: Wir haben etwa in einer Lebenszyklusanalyse die ökologischen Auswirkungen von Elektrolyseuren zur Wasserstoffherstellung untersucht und dabei genau berechnen können, mit welchen Emissionen der Aufbau dieser Systeme zunächst einmal verbunden sein wird. Man muss sich immer vor Augen führen, dass der Aufbau des Wasserstoffsystems ja kein Selbstzweck ist, sondern dazu dienen soll, das Energiesystem klimaneutral und nachhaltig zu gestalten.
Hier muss man eben genau hinschauen, um nicht an irgendeiner Stelle der Transformation in die falsche Richtung abzubiegen oder nachteilige Entscheidungen zu treffen – da sind wir wieder beim Thema „Wegweiser“. Es ist wichtig, bereits beim Aufbau des Wasserstoffsystems den Klimaschutz immer im Auge zu behalten und bestimmte Nebeneffekte und Details genau zu kennen und zu berücksichtigen. Die Potentiale und Fallstricke der H2-Transformation feingranular und interdisziplinär zu analysieren, war eine der wesentlichen Stärken unserer Forschungsarbeit.
Welche konkreten Leitlinien oder Empfehlungen für den Wasserstoffhochlauf lassen sich denn auf Basis Ihrer Forschungsarbeit formulieren?
Wir haben die Ergebnisse des Labors in unserem nun verfügbaren Abschlussbericht in Form von Thesen zusammengefasst, die als Empfehlungen für den Transformationsprozess genutzt werden können. Der wichtigste Punkt ist sicherlich, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben – die Uhr tickt, nicht nur aus Sicht des Klimawandels, sondern auch, wenn wir in Deutschland Leitmarkt für Wasserstoff sein wollen, wenn wir Technologieführerschaft übernehmen und unsere Technologien exportieren wollen. Wir dürfen hier nicht an Geschwindigkeit verlieren, sondern sollten eher noch an Tempo zulegen.
Die Richtung ist klar und wir müssen jetzt wirklich in die großskalige Umsetzung kommen und Anlagen aufbauen – sowohl mehr Erzeugungsanlagen zur nachhaltigen Stromgewinnung als auch weitergehende Anlagen, etwa große Elektrolyseure und eine Transportinfrastruktur wie das geplante Wasserstoffkernnetz. In dieser konkreten und ambitionierten Umsetzung liegt auch für die Industrie die Chance, auf dem heimischen Markt zu demonstrieren, welche technologischen Innovationen sie für den globalen Markt anbieten kann.
Gibt es denn schon Rückmeldungen aus der Praxis? Werden die Projektergebnisse von Praxispartnern verwendet?
Der Austausch mit Praxispartnern fand schon intensiv während der Forschungsarbeit statt – hier zumeist auf bilateraler Ebene mit einzelnen Teilprojekten, da die Fragestellungen oft sehr spezifisch waren. Wir hoffen natürlich, dass dieser Austausch zur praktischen Umsetzung beitragen konnte und auch eine Basis gelegt hat für zukünftige Kooperationen mit Praxispartnern, etwa aus der Industrie.
Man muss ja auch ehrlicherweise sagen: Dieser Austausch parallel zur Forschungsarbeit war alternativlos, denn kein Praxispartner hätte vier Jahre auf unsere Ergebnisse gewartet, um dann erst Investitionen zu tätigen. Die Welt ist nicht stehengeblieben und in diesem Zeitraum ist im Bereich Wasserstoff wahnsinnig viel passiert – in vielen Industriebetrieben ist die Umsetzung ja schon in vollem Gange. Ich bin aber davon überzeugt, dass neben dem Austausch über die vergangenen vier Jahre auch unser Abschlussbericht wichtige Impulse für Richtungsentscheidungen in dem schon laufenden Transformationsprozess liefern kann.
Wie geht es nun weiter? Gibt es Folgeprojekte für den „H2-Wegweiser“? Und was nehmen Sie aus der Zusammenarbeit mit?
Wirklich schön ist, dass sich durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Innovationslabor ganz neue Kontakte zwischen den Fachrichtungen ergeben haben, die sicherlich auch in Zukunft für weitere Forschungsvorhaben relevant sein werden. Und man hat gemerkt, dass sich bei vielen der Blick für die Perspektiven der anderen Disziplinen geöffnet hat. Wir haben etwa gesehen, dass Kolleg:innen, die sich originär hauptsächlich mit Energiesystemanalysen beschäftigen, nun auch auf einmal überlegen, wie zum Beispiel das Energiewirtschaftsrecht Geschäftsmodelle in der Wasserstofferzeugung beeinflusst.
In den Teilprojekten im Innovationslabor haben sich so, auch auf Basis einer wirklich vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten, viele Ansätze für Folgeprojekte entwickelt, die auch teils schon in der Beantragung oder Finanzierung sind. Ganz aktuell ist da natürlich besonders das Landesgraduiertenkolleg „Wasserstoff und Wasserstoffderivat Ammoniak“ im Rahmen des Forschungsprogramms „Transformation des Energiesystems Niedersachsen (TEN.efzn)“ zu nennen. Aber auch im Hinblick auf Kooperationen mit der Industrie gibt es schöne Entwicklungen und konkrete bilaterale Partnerschaften. Durch das Innovationslabor ist aus meiner Sicht viel Raum für neue, interdisziplinäre Ideen und Kooperationen in Niedersachsen entstanden, der vorher in dieser Breite und Wirksamkeit nicht da war. Neben den konkreten Erkenntnissen aus dem Labor ist dies auch ein wirklicher Gewinn für die H2-Forschungslandschaft in Niedersachsen.
Jetzt den Abschlussbericht des „H2-Wegweisers Niedersachsen“ lesen
Der Abschlussbericht des Innovationslabors ist als Open-Access-Publikation in der efzn-Schriftenreihe erschienen und kann über diesen Link kostenlos heruntergeladen werden.